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15.03.2024




 

Foto: hejo@blancio.de

Herzlich willkommen in Blankenheimerdorf

Unser Adler Dreigang - Fahrrad
von Johannes Vossen

Der Insider unserer Tage sagt „Baik,“ schreibt „Bike“ und meint „Bicycle.“ Antiquierte Zeitgenossen aus dem 20. Jahrhundert bedienen sich noch der deutschen Sprache und reden vom gewöhnlichen „Zweirad.“ Das Bike kann einen Motor besitzen oder durch Muskelkraft angetrieben werden, in letzterem Fall nennt man es dann „Fahrrad.“ Weniger gebildete Mitmenschen benutzen den entwürdigenden Ausdruck „Drahtesel,“ sie deklassieren auch die „Bikers Inn“ zur Kradfahrerkneipe! Unser Deutsch ist eben manchmal ziemlich primitiv.

Im Krieg und in den mageren Jahren danach war der Drahtesel das Beförderungsmittel des Kleinen Mannes schlechthin, weil dessen Geldbeutel nur in wenigen Fällen für ein „Föppchen“ reichte. Das Föppchen war die „achtundneunziger Sachs,“ so genannt nach dem Hubraum des Motors und dessen Hersteller. Ein anderes Föppchen war die „Quick“ von NSU. Wer ein Föppchen besaß, stand unterdessen im Krieg sehr bald „auf dem Schlauch,“ weil es für Privatfahrzeuge keinen Sprit mehr gab. Wir daheim besaßen kein Föppchen. Ich „reiste“ beispielsweise im Jahr 1943 auf dem Gepäckständer von Mutters Damenfahrrad zu meiner Erstkommunionfeier nach Blankenheimerdorf, und das war beinahe schon „komfortabel.“

Wie sich doch die Zeiten ändern! Heute stehen bei uns gleich zwei Autos in der Garage, im und nach dem Krieg gab es daheim in Schlemmershof keine Garage, geschweige denn ein Auto. Bei uns gab es den offenen Holzschuppen und darinnen drei Fahrräder. Drei Stück! Wir waren reich, trotz der elenden Zeit, viele Zeitgenossen nannten nicht einmal einen einzigen Drahtesel ihr Eigen. Wir waren also reich, weil wir drei Fahrräder besaßen. Heute sind wir arm, weil wir kein Fahrrad mehr haben und jeden Weg mit dem Auto bewältigen müssen.

Der Älteste unserer drei Drahtesel war der von Ohm Mattes (Onkel Matthias). Das Vehikel besaß ungewöhnlich große Räder  – vermutlich 28 Zoll –  und war durch jahrelangen Nichtgebrauch ziemlich verrostet. Beiden Reifen war längst die Luft ausgegangen, repariert wurde erst viel später, als Ohm Mattes wieder aus dem Krieg zurück war. Weiterhin gab es das bereits erwähnte Damenrad mit reichlich löcherigem „Netz,“ sonst aber noch ziemlich in Schuss und häufig gebraucht. Unser bestes Stück war Vaters relativ neues Adler Dreigang-Rad.

Ein Adler im Haus

Mein Vater „Vossen-Hein“ pflegte einen gewissen Hang zum Besonderen, ihn interessierten die Technik und das Ungewöhnliche. So besaß er unter anderem als Einziger im Dorf ein „Flobert“-Kleinkalibergewehr und eine Agfa-„Billy Rekord“-Kamera mit ausziehbarem Objektiv, - damals im Vergleich zur Standardkamera „Box“ eine Errungenschaft. Anstelle eines billigen Volksempfängers, etwa der „Göbbelsschnauze“ DKE 38, kaufte Vater einen „EMUD Rekord 31 W“ und schaffte sich als Erster im Dorf ein Fahrrad mit Gangschaltung an, das Adler Dreigang-Rad. Damit hatten wir ein(en) „Adler“ im Haus, ein metallener Adler nämlich war das Markenzeichen des Herstellers und prangte ganz vorne auf dem Schutzblech des Vorderrades als Firmensymbol.

Der Adler, das Markenzeichen des Herstellers. ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Alt-münster am TraunseeDass Vaters Anschaffungen ein wenig aus dem Eifeler Alltagsrahmen fielen, lag ganz schlicht in seiner Vorliebe für das Nichtalltägliche begründet. Ein gewisser „Besitzerstolz“ kam selbstredend hinzu, der unterdessen keinesfalls in Aufschneiderei oder Überheblichkeit ausartete, weil dafür der Geldbeutel zu dünn war. Als gelernter Schreiner arbeitete Vater bis 1938 in der Schreinerei des Sägewerks Peter Milz in Blankenheim-Wald. Dann wurde er zum „Pi-Stab Fe“ (Pionierstab Festungsbau) in Kall-Anstois dienstverpflichtet, wo er Einrichtungen für die Westwallbunker herstellte, und kam nach dem Westfeldzug, als die Arbeiten am Westwall eingestellt wurden, in die Flugzeugwartung beim Fliegerhorst Courcelles in Belgien. Damals wurden im Flugzeugbau noch viele Holzteile verwendet, beispielsweise Propeller. Vater verdiente mit seiner Schreinerarbeit keine Reichtümer, insgesamt aber „ganz gut,“ und da wir daheim die wichtigsten Lebensmittel aus der kleinen Landwirtschaft von Ohm Mattes bezogen, reichten die Groschen für diese oder jene Sonderanschaffung, zum Beispiel für das Adler Dreigang-Rad.

Unser Dreigang wurde im Jahr 1938 gekauft. Ich war zwar schon drei Jahre auf der Welt, kann mich aber naturgemäß an den Kauf nicht erinnern. Es war das Modell 153, ein Tourenrad mit 26 Zoll-Rädern, das Baujahr war vermutlich auch 1938, kann natürlich auch früher datieren, da das Dreigangrad ab 1934 bereits im Handel war. Analog zum Herrenrad gab es auch das Damenrad mit der Bezeichnung 154. Diese Details sind der Homepage des Oldtimermuseums „Rund ums Rad“ in Altmünster am Traunsee (Österreich) entnommen. An dieser Stelle bedanke ich mich bei Herrn Hannes Denzel für die freundliche Übermittlung der in diesen „Drahteselgeschichten“ veröffentlichten Fotos. Eigene Fotos von Vaters Rad sind seltsamerweise nicht vorhanden, obwohl es bei  uns eine Kamera gab.

Das Tourenrad Adler Dreigang 153 ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Altmünster am TraunseeDas Adler Dreigang-Rad besaß ein echtes Getriebe im Tretlager, mit drei Gängen: langsam, mittel und schnell. Die Kraftübertragung erfolgte über Zahnräder auf das Kettenrad, das nicht starr mit den Pedalen verbunden, sondern separat gelagert war. Geschaltet wurde mit einem Rasterhebel am oberen Rahmenteil, - ähnlich wie bei alten Motorrädern. Die gesamte Konstruktion war „massiv“ zu nennen und „wie für die Ewigkeit gebaut.“ Daraus resultierte unterdessen auch ein erhöhtes Eigengewicht, das Adler-Rad mag zwischen 30 und 40 Pfund gewogen haben. Um die Vorteile der Gangschaltung voll ausnutzen zu können, brauchte man kräftige Beinmuskeln. Meine erste größere Fahrt mit unserem Adlerrad führte im Jahr 1951 zu einem Rennen auf dem Nürburgring, drei externe Dahlemer Mitschüler des Gymnasiums Steinfeld waren mit von der Partie. In Müsch an der Ahr hatte ich das Pech, einen “Platten“ reparieren zu müssen, und im Barweiler Berg stand ein Auto in Flammen, ich vergesse die Reise nie. Bis zum Start und Ziel am Nürburgring sind es von daheim rund 30 Kilometer, für mich damals eine ungewohnter Fahrradausflug. Abends daheim taten mir sämtliche „Backen“ weh, es war aber schön und später fuhren wir noch mehrmals mit unseren Drahteseln zum Rennen.





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Startschwierigkeiten 

Während der Kriegsjahre stand auch das Adlerrad ungenutzt im Schuppen herum, weil Vater ja in Belgien war. In Betrieb war nur Mutters Damenrad, auf dem ich auch meine ersten Radfahrversuche unternahm. Selbst die niedrigste Sattelstellung war anfangs für mich noch zu hoch, also drehte ich meine Übungsrunden auf den Pedalen stehend. Das ging ziemlich flott, es gab aber bei uns nur eine unangenehm „knubbelige“ Gemeindestraße, unbefestigt, die wassergebundene Decke ausgewaschen, mit hervorstehenden Schottersteinen, auf denen der ungefederte Drahtesel nicht selten ins „Hüpfen“ geriet. Das hatte dann beim „Stehfahrer“ den jähen Verlust der „Standflächen“ und einen Sturz von den Pedalen mit Schrammen und schmerzhaften Beulen zur Folge, was unterdessen mehr oder weniger bedeutungslos war. Wichtiger war, dass dem Drahtesel kein ernsthafter Schaden widerfuhr.

Das Bremsen war anfangs eine recht schwierige Angelegenheit, die ebenfalls manchen Sturz verursachte. Der Abstand zwischen Lenkergriff und Handbremshebel war bei meinem Übungsrad für meine Kinderhand zu groß. Man hätte den Hebel sehr leicht verstellen können, doch das wurde nie gemacht: An der Bremse durfte man nichts verändern. Somit blieb also nur die Rücktrittbremse mit ihren Tücken, deren Überwindung anfangs Schwierigkeiten bereitete. Stieg man nämlich mit dem vollen Körpergewicht aufs Rücktrittpedal, dann blockierte das Hinterrad. Es dauerte eine Weile, bis man sich den richtigen „Rücktrittfuß“ angeeignet hatte. Als „Notbremse“ half schließlich nur noch der rettende Sprung in den Straßengraben, was aber „stehenden Fußes“ von den Pedalen herab viel Überwindung kostete und fast immer mit Schrammen und Kummer verbunden war.

Der Getriebeblock im Tretlager. ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Altmünster am TraunseeBedeutende Schwierigkeiten gab es für den Anfänger beim Herrenrad. Die obere Querstange am Rahmen machte das Stehen auf den Pedalen fast unmöglich. Unser „Mannesstolz“ duldete aber auf die Dauer kein Damenfahrrad als Fortbewegungsmittel, also zwängte man ein Bein seitlich unter der lästigen Querstange hindurch und radelte „in Schieflage“ über den Übungsparcours. Dabei rutschte man besonders leicht von den Pedalen ab und war bestrebt, möglichst bald „über der Stange“ zu fahren. Diese Praxis war unterdessen mit Vorsicht anzuwenden und konnte „peinlich“ enden. Wehe nämlich dem „Stehfahrer,“ der beim Herrenrad von den Pedalen geriet und notgedrungen von der Querstange „aufgefangen“ wurde! Das  war dann nicht nur peinlich, sondern auch äußerst „peinvoll“ im Sinne des Wortes. Diese bittere Erfahrung hat vermutlich jeder Radfahrlehrling irgendwann einmal machen müssen. Auch Vaters Adler-Rad könnte, wenn es denn noch existierte, von derartigen Episödchen eine ganze Menge erzählen.

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Reparaturen 

Das „Adler Dreigang“ war mit einem gut gefederten Sattel aus echtem Leder ausgestattet, aus Leder gefertigt war auch die „dreieckige“ Werkzeugtasche, die unterhalb des Sattels am Rahmen angebracht und sogar durch ein kleines Vorhängeschloss abschließbar war. Viel Werkzeug ließ sich in der Tasche nicht unterbringen, die beiden obligatorischen „Fahrradschlüssel“ reichten unterdessen ja auch. Dies waren der handliche „Achtlochschlüssel,“ dessen würfelförmige Köpfe für die beim Fahrrad erforderlichen genormten Muttern gelocht waren, und dazu der flache „Konusschlüssel“ zum Nachstellen von Freilauf und Rücktrittbremse in der Hinterradnabe sowie der Radlager. Für den Achtlochschlüssel gab es im Volksmund eine etwas „unanständige“ ähnlich klingende Bezeichnung. Bei Bedarf ergänzte man den Tascheninhalt um einen Schraubendreher und ein kleines Montiereisen für die Reifenpanne. Eine Blechdose mit den Utensilien für die Schlauchreparatur vervollständigte das Bordwerkzeug.

Fahrradreparaturen waren im Krieg und besonders auch in den Jahren danach ein Problem, gab es doch so gut wie gar kein „Flickzeug“ und erst recht keine Ersatzteile mehr. Unser Flickzeug damals? Ein kostbares Tübchen „Gummilösung,“ ein paar „Flicken“ aus alten Schlauchresten, und ein Stück Herdschmirgel zum Aufrauhen der Klebestelle, das war´s dann auch schon. Und alle Augenblicke war ein Loch im Schlauch, weil sich spitze Gegenstände durch den verschlissenen „Mantel“ gedrückt hatten! Enorm rar war „Ventilgummi.“ Ohne diese winzigen Gummiröhrchen ging unterdessen gar nichts, man musste improvisieren. Wir behalfen uns mit der Gummiummantelung der dünnen Drähte aus einem Stück Kabel. Das war aber nur eine Notlösung, die Gummiröhrchen waren nicht „stramm“ und elastisch genug, dem Schlauch ging in regelmäßigen Abständen „die Luft aus,“ alle zwei bis drei Stunden musste nachgepumpt werden, und morgens war der Reifen in jedem Fall völlig platt.

Der Dreigang-Schalthebel am Rahmen. ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Altmünster am TraunseeIm Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Ardennenoffensive, richtete die Wehrmacht im Herbst 1944 in unserem Holzschuppen eine Reparaturwerkstatt für Militärfahrzeuge ein. Im Materialdepot der Werkstatt gab es auch komplette Reparatursätze fürs Fahrrad. Die Soldaten schenkten uns eine dieser kleinen Blechdosen, und da waren wir wieder einmal reich: Gummilösung, Ventilgummi, Reibblech, fertige Flicken in diversen Größen, und sogar Ventil- und Kolbendichtungen für die Luftpumpe, - Kleinigkeiten, für uns aber ungeheuer wertvoll. Die Soldaten hatten auch neue Schläuche und Reifen, die verschenkten sie aber nicht.

Ich hatte bald herausgefunden, wo die kostbaren Flickzeugdosen verwahrt wurden. Ein Stück davon befand sich irgendwann plötzlich in meiner Hosentasche und ich weiß nicht, ob das Fehlen jemals aufgefallen ist. Anfangs plagten mich zwar ziemliche Gewissensbisse und dem Pastor Lux in Blankenheimerdorf bekannte ich im Beichtstuhl, mehr gezwungenermaßen als reumütig: „Ich habe geklaut.“ Im Januar 1945 wurde die Reparaturstaffel aus unserem Schuppen abgezogen. Als die Soldaten fort waren, fehlten auch in Vaters kleinem Werkzeugschrank ein paar Stemmeisen und Holzraspeln, und die waren noch wertvoller als das Flickzeug. „Auge um Auge, Zahn um Zahn,“ – da hätte ich ja eigentlich gar nicht beichten müssen! Immerhin, mein Gewissen war wieder unbeschwert und guter Dinge.

War schon die Schlauchreparatur eine Kunst für sich, so war die Ausbesserung eines schadhaften Reifens beinahe unmöglich. Der „Mantel“ war nicht selten derart abgenutzt, dass stellenweise das blanke Leinen zum Vorschein kam. Ein spitzer Stein genügte für eine Perforation, man konnte von Glück sagen, wenn sich nicht unverzüglich an der Rissstelle der Schlauch heraus drückte und platzte. Neue Fahrradmäntel waren nicht zu kriegen, man behalf sich mit einer entsprechend großen, von einem alten Reifen abgeschnittenen Über- oder Unterlage. Die wiederum verursachte während der Fahrt ein äußerst unangenehmes rhythmisches „Hopsen“ des Drahtesels. Wenn gar beide Reifen eine solche Reparaturstelle besaßen, dann war das Fahrrad die reinste Rüttelmaschine. Die Überlage auf dem Vorderreifen konnte sogar zur tückischen Falle werden. Die Handbremse nämlich drückte mit einem Hartgummiblock auf die Lauffläche des Reifens und blockierte naturgemäß an der Überlage. Ein böser Sturz war die fast unausbleibliche Folge. Zur Vermeidung unbeabsichtigten Bremsens wurde also kurzerhand die Handbremse abmontiert.

Die Adler Damenrad-Version. ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Altmünster am TraunseeIn den jämmerlichen Nachkriegsjahren, als es rein gar nichts mehr an Alltagsbedarf zu kaufen gab, erwies sich „die Eierschängs“ aus Blankenheimerdorf als Retter in der Not. Dank guter Beziehungen zu einschlägigen Stellen in der Stadt, war sie in der Lage, uns neben Feuerzeugen, Taschenlampenbatterien, Zigaretten oder Wollsocken, auch Flickzeug fürs Fahrrad zu beschaffen, sogar den einen oder anderen Fahrradschlauch oder Reifen vermochte sie zu liefern. Ihr Tauschobjekt waren bevorzugt Naturalien, zum Beispiel Eier, daher ihr „Händlername.“ Die resolute Kölnerin wohnte im „Dörf,“ mit richtigem Namen hieß sie Frau Martin.


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Das Rad und die Amis

Ein Adler Dreigang-Fahrrad war offensichtlich zum damaligen Zeitpunkt sogar in Übersee noch unbekannt. Am 07. März 1945 besetzten die Amerikaner unser Dorf, die Hälfte der Häuser, darunter auch unser Haus, mussten für die Besatzer geräumt werden. Die entdeckten in unserem Schuppen das Adlerrad, nahmen es unverzüglich in Beschlag und starteten reihenweise Probefahrten. Das muss ihnen unheimlichen Spaß bereitet haben, wann immer ich später in Hausnähe kam, war ständig wenigstens einer mit Vaters Rad beschäftigt. Nach zwei Tagen waren beide Reifen platt, gefahren wurde aber trotzdem, mit total platt gewalkten Reifen, auf der „knubbeligen“ Gemeindestraße.

Einem der Kerle muss wohl ein Stein im Weg gelegen haben. Ich kam gerade dazu, als sich Rad und Fahrer buchstäblich „überschlugen.“ Fluchend rappelte sich der Mann unter dem Rad hervor und aus dem Graben hoch und hielt sich das lädierte Schienbein. Gewaltig klingt es, wenn einer so richtig „von Herzen“ auf Englisch flucht! Ich verstand zwar kein Wort, die begleitenden Aktionen sprachen aber umso deutlicher, zumal auch noch ein paar Kameraden dabei standen und ein brüllendes Gelächter anstimmten. Zum Schaden nun auch noch den Spott, - der Unglücksvogel schritt zur Tat.

Das Getriebe am Damenrad mit Kettenschutz. ©  Hannes Denzel, Oldtimermuseum Alt-münster am TraunseeWütend trat der Ami ein paar Mal gegen das Fahrrad, das halb aus dem Graben ragte. Als das keinen sichtbaren Erfolg, dafür aber ein erneut geschundenes Schienbein brachte, lief er zum Schuppen hinüber und kam mit unserer Axt zurück, die eigentlich mehr fürs Holzspalten als für die Bearbeitung von Adlerrädern bestimmt war. Immer schreiend, drosch der Wüterich so lange auf den Drahtesel ein, bis die hintere Gabel an einer Seite durchtrennt war und die Axt tiefe Kerben aufwies. Beides, Axt und Rad, ließ er dann liegen und verzog sich ins Haus, begleitet vom Gebrüll seiner Kameraden. Die räumten dann wenigstens noch die Wrackteile fort und schleppten alles in den Schuppen.

Dort hat der lädierte Drahtesel lange Jahre ein trauriges Dasein fristen müssen, bis Vater eines Tages, nach seiner Rückkehr aus dem Krieg, die Initiative ergriff und zur Reparatur schritt. Die zerwalkten Reifen und Schläuche waren nicht mehr zu reparieren, man musste sich eben mit gebrauchtem Ersatz begnügen und unendliches Überlagen-Gerubbel in Kauf nehmen. Die zerrissene Hintergabel bedurfte unterdessen des Schweißgeräts. Ein solches besaß „Et Schmettche,“ der Schmied  in Blankenheimerdorf, und der schweißte unser Adler Dreigang wieder tadellos zusammen. Das Rad hat noch lange Jahre gute Dienste getan, als Vater seine Schreinerwerkstatt in Blankenheimerdorf eingerichtet hatte und täglich dorthin zur Arbeit fuhr. In den Schulferien brachte ich ihm im „Mittchen“ das Mittagessen und wurde nach Feierabend „auf der Stange“ unseres Drahtesels heimwärts transportiert.

Auch nach Vaters Tod im Jahr 1957 blieb das Adlerrad noch in Betrieb. Irgendwann aber funktionierte der erste Gang nicht mehr, - eigentlich der wichtigste Gang für die Steigungen unserer Eifelstraßen. Das Rad war nur noch die Hälfte wert, und als schließlich auch der zweite Gang noch streikte, war die Außerbetriebnahme unvermeidlich. Aus der Homepage des eingangs erwähnten Oldtimermuseums Altmünster erfuhr ich übrigens, dass derartige Schäden im an sich unverwüstlichen Adler Dreigang-Getriebe die Folge mangelhafter Schmierung waren. Das traf bei uns mit Sicherheit zu, ich kann mich nicht an einen „Getriebeölwechsel“ bei unserem Adlerrad erinnern.

Die Axt und das Fahrrad. ©  Johann Vossen, Illustration aus "So war´s bei uns (1996)Ich habe seinerzeit erfolglos an dem defekten Getriebe herum gebastelt, schließlich konnte ich es nicht einmal mehr einbauen. Irgendein Schrotthändler hat dann das Wrack mitgenommen. Hätte uns zu Vaters Lebzeiten jemand weisgemacht, dass es einmal federleichte Fahrräder mit 20 und mehr Schaltgängen geben werde, - wir hätten den Mann ausgelacht und der Aufschneiderei bezichtigt. Im Übrigen hätte wir ja auch über den Fernseher, den Taschenrechner, das Handy und den Computer gelächelt.



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